virtuelle Präsentation der

Orgelbau-Anstalt von Wilhelm Rühlmann, Zörbig

mitteldeutscher Orgelbau 1842 - 1940


Unternehmenshistorie

Unternehmenshistorie

Unternehmenshistorie   -  Etablissement für ästhetische Klangkultur

Jede Orgel ist ein Organ, welches seine eigene Sprache spricht.
                                                                                                                                                                                      Theophil  Forchhammer


Jede Orgel ist ein Organ,
welches seine eigene Sprache spricht.

Theophil  Forchhammer   

Mitten in der Stadt Zörbig, Leipziger Straße, gründete 1842 Friedrich Wilhelm Rühlmann seine bescheidene Orgelbauwerkstatt. Er war vorher Mitarbeiter und später Geschäftsführer vom Orgelbauer Moritz Baumgarten aus Merseburg, der vermutlich auch sein Lehrmeister war. Friedrich Wilhelm stammte aus dem damals thüringischen Schnellroda, südwestlich von Merseburg gelegen. Sein bescheidenes Schaffen erstreckt sich auf 6 Orgeln, im Opusverzeichnis aufgeführt unter op. 1-6. Seine Frau Caroline Emilie Schmidt aus Sandersdorf heiratete er 1842 in Kütten, nahe Zörbig. ►Familiengeschichte


Der Orgelbau beseelte den Mann so sehr, dass er seinen Söhnen, Wilhelm und Theodor, das gleiche Handwerk beibrachte. Diese gingen nach beendeter Lehrzeit im väterlichen Unternehmen, nach Weissenfels zur damals bekanntesten Orgelmanufaktur Mitteldeutschlands, Friedrich Ladegast. Dort absolvierten die Brüder die Meisterausbildung und wirkten an der Aufstellung bedeutender Orgeln mit. Wilhelm leitete die Aufstellung der Instrumente für die Nicolaikirche Leipzig und der Schlosskirche in Wittenberg (damals noch im Barockgehäuse von Ephraim Hübner - Bad Düben) Bruder Theodor war maßgeblich an der Aufstellung der Orgeln für den Dom in Schwerin beteiligt bevor er von seinem Bruder in die heimische „Anstalt“ nach Zörbig „zurückberufen“ wurde. Hier war er bis zu seinem Tod am 06.05.1910 Leitungsangestellter und rechte Hand des älteren Bruders


Die Anzahl für neu erbaute Orgeln stieg rasant an. Die Jahre 1890 bis 1914 waren die Höhepunkte in dem geschäftlichen Treiben, da Orgeln nicht mehr nur in Kirchen, sondern auch in „weltlichen Gebäuden“ standen. Inzwischen war Wilhelm Rühlmann´s erste Frau, aus Lohsa bei Bautzen stammend, verstorben. Dem Paar wurden 2 Töchter geschenkt. Nach Lohsa lieferte er im Auftrag Ladegast seine Orgel, op 12.


Als Bürger Zörbigs heiratete er erneut. 1880 die allhier stammende begüterte Johanne Concordia Deißner. Sicher aus diesem Umstand heraus konnte 3 Jahre später, 1883, „vor den Toren der Stadt“ das neue repräsentative Anstaltsgebäude im Neorenaissance-Stil in der Radegasterstraße bezogen werden. 

Im Firmenkatalog von 1914 (welcher auch hier auf der Website vorliegt) schreibt W. Rühlmann folgende Zeilen: “Im Jahre 1883 durfte ich es wagen, die zu eng gewordene Werkstatt inmitten der Stadt zu verlassen und einem stattlichen Neubau vor den Toren auszuführen, der in den Jahren 1892 und 1914 wiederum erweitert werden musste...”

Das Fabrikgebäude in Zörbig wurde 1928 noch einmal aufgestockt.


Auszeichnungen des Unternehmens

Auszeichnungen des Unternehmens

Zu der im Jahre 1881 stattfindenden Gewerbe- und Industrieausstellung zu Halle (Saale) war diesmal die Orgelbauanstalt mit einer Orgel anwesend. Diese wurde vom Preisgericht mit der goldenen Medaille prämiert. Wie bereits im Vorfeld vereinbart, wurde sie mit leichten Veränderungen anschließend nach Köthen, St. Agnus, gestellt. Mit dem opus 36 im Verzeichnis deklariert. 


Gewerbe- und Industrieausstellung

Halle a.S., den 09.07.1881

Gewerbe- und Industrieausstellung             Halle a.S., den 09.07.1881



Anhaltisches Wappen



Anhaltisches Wappen



1889 Anhaltischer Hausorden in Gold

“Albrecht der Bär”

1889 Anhaltischer Hausorden in Gold

“Albrecht der Bär”

1889 Anhaltischer Hausorden in Gold

             “Albrecht der Bär”

Weitere Auszeichnungen: 1883 Hoflieferant durch Herzog von Anhalt ernannt; 1898 preußischen Kronenorden verliehen
Neben seinen anvertrauten Ehrenämter, war Rühlmann auch erster Vorsitzender des “Verein Deutscher Orgelbaumeister”, Vorstandsmitglied des “Verbandes der Orgelbaumeister Deutschland” und Vorsitzender der Prüfungskommission der Handwerkskammer in der Provinz Sachsen.

1886 wurde die letzte große mechanische Schleifladenorgel mit Barkermaschinen für Barby/Elbe III/35 erbaut. Wilhelm Rühlmann war Techniker, stand Neuerungen offen gegenüber und erkannte, dass das mechanische Zeitalter an sein Ende gekommen war. Er lernte die Versuche der pneumatisch gesteuerten Orgel von einigen Kollegen kennen und entschied - in Zörbig müssen wir etwas solides und ausgereiftes entwickeln, was ohne Kinderkrankheiten angeboten werden kann. Er übernahm das System der Kastenlade von Röver, Hausneindorf, in Kooperation spezifizierte diese und bot sie selbstbewusst an. Bereits 1887 wurde erstmalig mit der Orgel für Mitteledlau bei Löbejün, welche zumindest im Pedal über eine pneumatische Kastenlade verfügt, die Aufstellung erprobt. Ab 1888 wurden nur noch pneumatisch gesteuerte Instrumente erbaut. Mechanischen Instrumenten in keinster Weise in der Repetition nachstehend! Pneumatik in Abstromtechnik, wo bei anderen Firmen die Pneumatik plump und grob wirkt, schleppt und versagt – Rühlmann sticht technisch heraus mit 10mm Messingrohren als Impulsleitungen. Elegant verlegt und einer präcisen Repetition der Töne. Handwerklich auf höchstem Niveau – höchsten Ansprüchen genügend. Um 1897 wurde die sogenannte Kegellade in Zörbig salonfähig - es war auch hier ein eigenes System, die Ventile sind flach aufschlagend, die Steuerung in Zustrompneumatik anfangs noch mit Messingrohr ging man nach der Jahrhundertwende zu Hartbleischläuchen über. In dieser Zeit wurden die beiden Windladenarten auch kombiniert eingesetzt. Opus 100 (Nienburg) entstand im Jahre 1889; Opus 200 (Sondershausen Konservatorium) 1898; Opus 300 (Jüterbog St. Nicolai) 1908; Opus 400 (Benndorf b. Delitzsch) um 1920.


Intonation

Intonation

Wilhelm Rühlmann sen. intonierte seine ersten 6 Instrumente selber. Als das Unternehmen rapide anwuchs, war das so nicht mehr möglich. Hervorragende Mitarbeiter erledigten diese wichtige Aufgabe. Vom „typischen Rühlmann-Klang“ wie Einige schreiben, kann nicht die Rede sein. Um 1900 - 1907 intonierte der Sohn von Franz (Richard) Theodor - Richard Rühlmann (09.09.1880 - 05.01.1923) Ab 1907 ist Oscar Bruno Eule (* 29.07.1876 in Löbau - ⚔ 17.07.1916 in Hem (Frankreich)) Chefintonateur – das spiegelt sich extrem positiv in der runden und edlen Klangpracht wieder. die von Wilhelm Rühlmann runde und edle Klangpracht verändert Richard Rühlmann in eine kraftvoll kernig mit runden Flöten und scharfen Streichern spätromantische Intonation mit teils sehr zarten Mixturen. Bruno Eule setzt ab 1907 noch mehr auf Orchestralität, laute scharfe Streicher, reizende Flöten und Principale die extrem kernig sind. Geigenprincipal streicht hornartig kraftvoll. Die Mixturen sind wahre Tutti-Erzeuger. Hier gipfelt die Schaffensperiode der Spätromantik und hat ein jähes Ende mit dem Ersten Weltkrieg. ►GESUCH

Später intonierte Gustav Busch die Instrumente, ähnlich dem Stil Eule's. 1927 kam Klangingenieur Herbert Bohnstedt als Intonateur nach Zörbig. Wilhelm Junior Rühlmann (1882-1964) entwickelte MAPHYS Mensuren; MAthematisch PHYSikalische Pfeifenverläufe. Anders als andere Orgelbaufirmen widmete sich die Firma neuer Klänge die Mitteldeutschland eroberten ohne auf Traditionelles zu verzichten. 

1927-1933: Eisleben (Peter&Paul); Erfurt (Lutherkirche); Halle (Lutherkirche); Berlin (Gnadenkirche); Zörbig (Mauritiuskirche)


1907 trat der erstgeborene Sohn Wilhelm in das Unternehmen ein, viele große III-manualige Orgeln wurden unter der Leitung des Juniors erbaut, Herrnhut op.292; Bad Düben op.294; Jüterbog op.300; Bitterfeld op.318; Erfurt Kaufmannskirche op.329; Zeitz op.338 und Afrika Potchefstroom op.375. Alle mit der kraftvollen Intonation Eules. 


Guten und Schlechten  Jahre

Guten und Schlechten  Jahre


Leider ist uns über den Stamm der Belegschaft kaum etwas übermittelt. In der URANIA, Ausgabe 1887, steht eine Randnotiz, dass 18-20 gut geschulte Gehilfen im Unternehmen tätig sind. Im Ersten Weltkrieg wurden sein Sohn Wilhelm und 7 weitere Mitarbeiter zum Heer einberufen. Sein Vater führte mit 22 Beschäftigten den Betrieb ununterbrochen fort.

Ein weiterer Hinweis bezieht sich auf das Jahr 1932. Hier wird mitgeteilt, dass ein Großteil der Belegschaft nicht mehr gehalten werden kann. Ein Stamm von etwa zehn älteren Männern blieb. Selbst Herbert Bohnstedt, Toningenieur und Orgelakustiker, musste gehen. Er ging zu Paul Rother, Hamburg. Nur zwei Jahre zuvor präsentierte er Rühlmann seine Erkenntnis, über die Reformierung des Klangs. Wilhelm Gronau – engster Mitarbeiter, durchlitt eine harte Lehre bei Knauf in Bleicherode/Harz. Sein Neffe, Erwin Lägel, wurde der letzte ausgebildete Lehrling und ging nachdem er bei Brandt/Magdeburg arbeitete in der Orgelbaufirma "A. Schuster & Sohn" als solider Mitarbeiter auf. Die jüngste Schwester von Wilhelm jr. - Anna - führte die Geschäftskontakte nach dem zweiten Weltkrieg bis 1945. Danach erlosch die Firma für immer. Wilhelm Rühlmann jr. starb 1964 fast mittellos in seiner Heimatstadt Zörbig.

Die Famiie wohnte bis zuletzt in der ansehlichen Villa.

Die meisten Unterlagen, Schriftverkehre, Werkzeuge welche für die Nachwelt erhalten werden sollten, landeten auf der Mülldeponie. Sein Sohn Albrecht rettete einen sehr kleinen Teil.

Seit dem Bestehen der Anstalt gab es auch sog. Vorratskammern/ Lagerräume für Holz, Material, Werkzeuge aller Art usw. Das Holz, welches hier bis zu 50 Jahren abgelagert war, erweist sich als gutes Material für den Orgelbau. Doch leider musste zum Ende hin alles verkauft werden. 1945 wurden die Vorräte enteignet. Danach fand hier kaum noch Leben statt.

Zu DDR-Zeiten wurden in einigen Räumen Fässer für die Sauerkraut- und Gurkenproduktion hergestellt (hinterer Teil des Montierungssaales). Der Rest der Gebäude verfiel zusehends.

Nach der polit. Wende 1989 stellte die Familie Rühlmann keinen Rückanspruch an das Ensemble in der Radegaster Str. Dadurch ging das Ensemble an einen nicht geschichtsinteressierten Eigentümer. Mehrere Versuche schlugen fehl, ein Orgelmuseum für Mitteldeutschland unterzubringen. 2011 wurde das desolate Gebäude saniert – die äußere Form wurde dabei leider verändert. Der historische Holzlagerplatz wurde leider im Zuge der Sanierung abgerissen. 
Der im Hof befindliche Walnussbaum, welcher zum 1. Geburtstag für Albrecht Rühlmann gepflanzt wurde, existiert leider auch nicht mehr. Dabei war der Walnussbaum gerade in der zweiten Hälfte seiner Lebenszeit angekommen. Was den Anlass zum Fällen gab ist uns leider nicht bekannt.

Seit 2019 befindet sich im Etablissement ein Dienstleister für Handwerk und Industrie mit Wohnung. Im Montierungssaal finden hin und wieder Veranstaltungen für das breite Publikum statt. Es sind in ferner Zukunft Übernachtungsmöglichkeiten, in kleinen Zimmern, geplant.

Somit ist die Gesamtkonzeption der einmaligen Anlage von Wohngebäude, Betrieb und Nebengelass leider für immer zerstört.

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